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Ulrike Draesner: "Eine Frau wird älter"
Die Kunst des Älterwerdens

Ulrike Draesner gehört zu den eigenwilligsten und vielseitigsten Schriftstellerinnen Deutschlands. 1962 in München geboren hat sie sich mit Romanen, Gedichtbänden und engagierten Zuwortmeldungen einen Namen gemacht. Jetzt hat sie einen persönlichen Essay über das Älterwerden geschrieben. Ein Mutmachbuch.

Von Shirin Sojitrawalla | 20.11.2018
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    Die Schriftstellerin Ulrike Draesner und ihr Roman "Eine Frau wird älter" (Cover: Penguin Verlag / Autorenportrait: Jelina Berzkalns)
    Wer über die Kürze des eigenen Lebens erschrickt, ist alt geworden. Lange vorbei also die Zeit, in der man denken mochte, älter als dreißig muss ich nicht werden. Wer einmal 50 geworden ist, muss sich verabschieden vom Jungsein. Entweder alt oder tot, mehr Optionen hält das Leben nicht bereit. Dass für älter werdende Frauen andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen als für älter werdende Männer liegt auf der Hand. Das Aussehen von Frauen besitzt immer noch einen anderen Stellenwert als das Aussehen von Männern. Die Gesellschaft blickt wesentlich unerbittlicher auf alternde Frauen als auf die grau melierten Herren der Schöpfung. Zudem bringen die so genannten Wechseljahre für Frauen den Fluch oder Segen der Unfruchtbarkeit mit sich. Obendrein erleben viele Frauen ihre plötzliche und vermeintliche Unsichtbarkeit wie einen Schock.
    Das alles ist beileibe nicht neu, schlägt sich aber immer wieder auch auf dem Buchmarkt nieder, und zwar nicht nur im seichten Ratgebersektor. Die Journalistin Bascha Mika etwa veröffentlichte 2014 ihr Buch "Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden", ihre Kollegin Susanne Mayer verteidigte später mit ihren "Erfahrungen aus der Vintage-Zone" "Die Kunst, stilvoll älter zu werden", nicht zu vergessen Silvia Bovenschen, die dem Thema "Älter werden" einst grundlegende Notizen widmete. Die Schriftstellerin Ulrike Draesner stellt sich jetzt in die Tradition diese Bücher, erkundet ihr eigenes Älterwerden und besteht darauf, im Altern auch ein Privileg zu sehen:
    Altwerden als Privileg
    "Ich erlebe es als ein Privileg, diesen Weg gehen zu dürfen. Er ist, wie bereits flüchtige Blicke in die Menschheitsgeschichte belegen, alles andere als selbstverständlich. Wer altern darf, kann sich in einem anhaltenden Prozess bis zu seinem Ende hin verändern. Er ist herausgefordert, sich zu diesen Veränderungen zu verhalten. Ständig von Neuem muss und kann man, solange die Zeit läuft, sich als eine weitere, den bereits gelebten Figuren zuzugebende Figur hervorbringen.
    Dass das wichtig ist, fühlen wir oft ex negativo, wenn jemand durch einen Unfall aus dem Leben gerissen wird. Brutal dieser Abbruch: Da ist etwas nicht zu Ende geführt worden, es durfte sich nicht die gesamte Person, körperlich, charakterlich und seelisch entfalten. Dafür braucht man all diese Lebenszeit; jeder Schritt gehört wesentlich dazu, mitsamt der Zumutungen, die er bereithalten mag. Und mitsamt der neuen Anforderungen, die er bringt."
    Das Alter nicht in erster Linie als Zumutung, sondern als Herausforderung zu betrachten, dieser Gedanke zieht sich durch das ganze Buch. Das Alter erscheint darin als Aufgabe und als Möglichkeit, ja auch als Geschenk. Dementsprechend werden die Wechseljahre nicht als Abstieg, sondern als wohlverdiente Schonzeit betrachtet. Dabei geht Ulrike Draesner von ihrem eigenen Leben aus, inspiziert und befragt sich, erinnert sich, wie das alles anfing, mit dem Frausein und dem Älterwerden. Sie schreibt quasi an ihrem eigenen Alterungsprozess entlang: die erste Periode, der erste Mann, das erste Kind, der erste Bandscheibenvorfall.
    Ähnlich der französischen Schriftstellerin Annie Ernaux schaut sie sich rückblickend beim Leben zu und erkundet seelische und körperliche Vorgänge ebenso schamlos wie gescheit. Das Thema der in die Jahre kommenden Frau beschäftigt Ulrike Draesner schon länger. Vor zwei Jahren erschienen unter dem bescheuerten Titel "Happy Aging" zwei CDs von ihr, auf denen sie nämliche Episoden aus ihrem Leben Revue passieren lässt. Das neue Buch ist eine Überarbeitung des damals eingesprochenen Textes. Dabei geht es auch um das Bild der Frauen um die 50 in der Öffentlichkeit, in der Literatur- und Kulturgeschichte, auf dem Theater, im Fernsehen:
    "Die Frau um die 50 ist eine lächerliche, im besseren Falle tragische Kupplerin: Mutter, Ehefrau, Verkörperung von Geldsucht, Bösartigkeit und/oder Naivität. Hart ist die Konkurrenz um die reichsten unverheirateten Männer, groß der Klatsch, übertroffen allein von Dummheit, Erfahrungsmangel, Aufstiegswut. Zerrbilder der Machtlosigkeit bevölkern den sozialen Raum. Ziehen die Töchter schließlich unter die Haube, bleiben die Mütter allein zurück: Häkelarbeit, Dorf, Ehemann. Oh ja, sie sind in den Wechseljahren: liegen im Bett, erleiden Nervenzusammenbrüche, brauchen Tee. Beim Tanz sitzen sie am Rand und schauen den ständig nachwachsenden Mädchen zu, installiert als Wächterinnen und Neiderinnen, zuständig für Benehmen und Moral. Sie gehen zur Kirche, peitschen die Regeln durch. Sie altern und altern und werden ewig sein. Ihre unselige Rolle spukt bis heute durch unsere Köpfe: Matrone, Schreckschraube, Gouvernante, schwiegermütterliche Terroreinheit, verbiesterte Vergangenheit."
    Der Tod als ständiger Begleiter
    Bilder, die uns prägen beziehungsweise das, was wir über ältere und alte Frauen denken. Draesner macht klar, dass das alles auch mit unserer jeweiligen Kultur zu tun hat. Die hierzulande gängige Vorstellung des Lebens von Blüte und Verfall existiere etwa in Kulturen, die in Wiedergeburtszyklen dächten, gar nicht.
    Im Fall von Ulrike Draesner hat das Nachdenken über das Alter viel zu tun mit ihrem Dasein als Mutter. Denn dieses verdeutlicht ihren Standpunkt zwischen den Generationen. Sie befindet sich zwischen ihren Eltern und ihrem Kind. Wenn alles nach Plan läuft, sterben erst die Eltern, dann die Kinder. Es handelt sich um eine natürliche Abfolge, die in ihrer Vorherbestimmtheit etwas Tröstliches besitzt.
    Um ihren eigenen Erfahrungshorizont zu dehnen, besucht Draesner Freundinnen und besondere Frauen, die sie zum Thema interviewt und über ihren jeweils sehr eigenen Umgang mit dem Altwerden befragt. Sie schaut sich natürlich auch in ihrer eigenen Familie um, vergleicht sich mit ihrer Mutter, die sich noch als alte Frau die Haare färbte oder mit ihrer abenteuerlichen Großmutter, die anders war als die anderen und gerade in diesem Anderssein ihre Emanzipation von herrschenden Vorstellungen bewies. Selbstironisch und kritisch schaut Draesner sich um, untersucht gute und ungute Körpergefühle, schreibt über Privates, ja Intimes, wie etwa eine Fehlgeburt. Diese von ihr diskret behandelte Erfahrung bringt sie auf den Tod als jemanden, der von Anfang an um uns und in uns ist.
    "Ich glaube, dass dieses Alleinsein die Grundsituation des Sterbens ist. So werde ich mindestens einmal noch sein, mit meinem Tod. Die Situation barg ihn in sich: Da lag ein kleiner toter Mensch. Und ich, ich trug ihn und den Tod in mir. Davor, glaube ich, fürchten wir uns sehr: dass wir den Tod sozusagen natürlicherweise in uns bergen. Daraus beziehen Altern und Altsein ihren spezifischen Schrecken."
    Das Erschrecken über die Kürze des Lebens, die Angst vor dem Tod und der Versuch, seine vielfältigen Vorboten zu verheimlichen – Ulrike Draesner ist nichts Menschliches fremd. Ihr Buch ist auch der Versuch, sich selbst mit dieser Zeit des Umbruchs, dem eigenen Altwerden zu versöhnen. Das kann ihrer Meinung nach nur über den Weg der Selbstermächtigung gelingen, sprich: Man muss sich selbst ausmalen, wie und wer man sein möchte, gerade jetzt und im Alter. Und dazu stiftet dieses Buch, das sich natürlich nicht nur an Frauen richtet, schön an.
    Ulrike Draesner: "Eine Frau wird älter. Ein Aufbruch"
    Penguin Verlag, München, 198 Seiten, 20 Euro.