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Im Atelier. Georg Kolbe mit Enkelin Maria von Tiesenhausen.

© Georg Kolbe Museum

Zum Jubiläum des Kolbe-Museums: Lichtburg im Grünen

Bei seiner Gründung war das Atelierhaus des Bildhauers Georg Kolbe bei den Nachbarn ungeliebt. Heute gehört es zu den populärsten Museen Berlins.

Knopfgroße Augen blicken einen an, hohlförmige und gleich mehrere Paare im zweiten oder dritten Gesicht. Die Figuren von Shinichi Sawada ziehen auf eigenwillige Art in ihren Bann: subtil und machtvoll, schrill und filigran. Fabelhafte Mischwesen, menschlich, animalisch und tektonisch zugleich und nicht mehr als 11 bis 59 Zentimeter hoch. Ihre Haut ist von Dornen überzogen oder mit Krallen bewehrt, andere sind ausgestattet mit Antennen, die eine Verbindung zum Betrachter zu suchen scheinen.

Direktorin Julia Wallner entdeckte Sawada auf der Biennale in Venedig

Ein Aspekt, wie er angesichts der aktuellen Pandemie treffender kaum sein könnte – und ein Thema, das für Sagawa zeitlebens wohl ein zentrales Unterfangen sein muss. Der 1982 in Japan geborene Autodidakt ist Autist. Mitarbeiter einer Fürsorgeeinrichtung entdeckten sein künstlerisches Talent und 2013 machte Massimiliano Gioni, Kurator der 55. Biennale von Venedig, die zwischen anthropomorpher und architektonischer Gestalt schillernden Keramiken einer breiten Öffentlichkeit im „Palast der Enzyklopädien“ zugänglich. Hier entdeckte auch Julia Wallner, Direktorin des Georg Kolbe Museums, Sawadas Terrakotten.

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Eine herausragende Position der Art Brut, mit der Wallner zugleich museologische Fragen von Inklusivität und Diversität in den Blick rückt. Das hat im Haus am Rande des Grunewalds Tradition – wie parallel in der Ausstellung „Moderne und Refugium“ nachvollziehbar wird. Ein Porträt des einzigartigen Gebäudeensembles, das anlässlich des 70. Gründungsjahres des Museums neue Erkenntnisse seiner Baugeschichte und ungewöhnliche Seiten seines Namensgebers eröffnet.

Kolbe nahm Einfluss auf die Gestaltung, warf die Pläne immer wieder um

Dass der Bildhauer weit mehr als Auftraggeber und Bauherr war, ist nicht neu; wie weit seine Einflussnahme auf die Gestaltung reichte, belegen Zeichnungen und Briefe, die dem Museum seit Anfang des Jahres aus dem Nachlass der 2019 verstorbenen Kolbe-Enkelin Maria von Tiesenhausen zur Verfügung stehen.

Hatte die Forschung den Beginn der Baugeschichte bislang auf das Jahr 1928 datiert, ist nun ein Entwurf vom Juni 1927 ausgestellt. Ein schnörkelloses, aber prachtvolles Künstlerhaus hatte der Architekt Erich Rentsch entworfen, mit großzügigem Atelier in einem repräsentativen Wohnhaus.

Kolbe setzte den Rotstift an Säulen und Balkon im Eingangsbereich, strich selbst das reduzierte Traufgesims und dampfte die viergeschossige, stufig angelegte Villa auf einen monolithischen Kubus ein. Im Zentrum das haushohe Atelier mit seiner virtuosen Lichtführung. Funktional und ganz im Sinne des Neuen Bauens, aber auch als Experimentierfeld für die Wirkung seiner Skulpturen im Raum.

„Das muss für die Architekten nicht einfach gewesen sein und auch nicht für die Baubehörde“, erzählt Wallner. „Bis zum letzten Moment und noch zu Beginn der Bauphase hat Georg Kolbe die Pläne immer wieder geändert.“

Der Bildhauer arbeitete viel mit Architekten der Moderne zusammen

In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre realisierte Kolbe, von der großbürgerlichen Sammlerschaft um seine Galeristen und von Museen umworben, Skulpturen und Denkmäler und arbeitete mit Architekten wie Gropius und Bruno Taut zusammen. Ludwig Mies van der Rohe wählte Kolbes „Der Morgen“ für seinen Barcelona-Pavillon auf der Weltausstellung 1929. Selbstbewusst schrieb Kolbe: „Ich verlange vom Baumeister nicht Wandfläche – sondern Raum.“

Ein Wendepunkt war der Tod Benjamine Kolbes 1927. Kolbe zog sich zurück, suchte ein Grundstück in der Nähe ihres Friedhofs in der Heerstraße, und arbeitete an seiner „Burg“, wie er den Baukörper in der Sensburger Allee nannte. Dem Begriff entspricht das Areal in seiner Außenwirkung bis heute. So zog es seinerzeit denn auch vehemente Proteste auf sich, wie ein Brief des Gärtners an den Baumeister belegt.

Die Nachbarn forderten mehr Grün, um das Haus nicht sehen zu müssen

Zur Abmilderung der Strenge forderten Nachbarn nicht nur einen hellen Anstrich der Mauer, sondern auch allerlei Bepflanzungen (erforderliche Kosten inklusive), um den Blick auf das Haus zu verdecken.

Wie licht und offen sich das Architekturdenkmal heute in seinen Innenbereichen zeigt, beeindruckt bei jedem Besuch des Kleinods.

Aktuell mit Shinichi Sawadas kleinen Plastiken, die einen Bogen zum Altmeister schlagen: von der hermetischen Welt, aus der der Japaner seine Wesen schöpft, bis zu Kolbes frei gewählter Einsiedelei in der Sensburg sowie seiner Freundschaft mit dem Psychiater und Sammler Hans Prinzhorn.

[Georg Kolbe Museum, Sensburger Allee 25, täglich 10-18 Uhr; bis 10. Januar 2021. www.georg-kolbe-museum]

Daneben versammelt „Moderne und Refugium“ bislang unbekannte Fotografien und Exponate aus der Privatsphäre des 1947 verstorbenen Bildhauers: Gemälde von Künstlerfreunden wie Max Beckmann und Karl Schmidt-Rottluff sowie Mobiliar aus seinem Wohnatelier. Ein faszinierender Einblick in die Geschichte des Museums und sehr persönliche Schlaglichter, die den eigentlich als streng geltenden Künstler aus einer ganz anderen Perspektive neu entdecken lassen.

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