Ein japanischer Outsider in Georg Kolbes Refugium

Das Atelierhaus des Bildhauers Georg Kolbe (1877–1947) im Berliner Westend ist ein Architektur-Juwel. Erbaut in den späten 1920er-Jahren, wurde es vor 70 Jahren ein Skulpturen-Museum.

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Ganz aus der Fantasie geboren: Ein Keramik-Objekt des japanischen Künstlers Shinichi Sawada.
Andreas Pauly/Kolbe Museum

Berlin- Georg Kolbe hatte eine Idealvorstellung des Zusammenspiels von Kunst, Natur und sachlicher Architektur. Er suchte die Balance im Verhältnis von Skulptur und Raum und der Schweizer Architekt Ernst Rentsch, später der Bauhausschüler Paul Linder erfüllten diesen Anspruch mit dem kubischen Backsteinbau und Skulpturengarten. Vor genau 70 Jahren wurde Kolbes Refugium zum Museum – als erste nach dem Krieg neu gegründete Berliner Kunst-Instanz, auch das einzige Künstlerhaus aus den 1920er-Jahren, dessen ursprüngliche Funktion sichtbar geblieben ist bis heute. Der Bildhauer hatte testamentarisch verfügt, dass der größte Teil seines Nachlasses in eine private Stiftung übergehe sollte. Seither ist sie Trägerin des Museums.

Das Jubiläum ist Anlass, die „Sensburg“ im Spiegel ihrer Geschichte zu zeigen. Wer das sehen möchte, kann Entwurfszeichnungen über die Bauphase bis hin zur privaten und schließlich öffentlichen Nutzung nacherleben. Ausgebreitet sind auch noch nie gezeigte Zeitdokumente, unter anderem aus dem Nachlass von Georg Kolbes Enkelin. Und im Blickpunkt stehen natürlich seine Skulpturen, Plastiken, Zeichnungen mit den unnachahmlich wohlproportionierten Formen. Das Haus hat zudem eine große Sammlung von Bildhauerwerken von Zeitgenossen Kolbes, etwa Renée Sintenis, Richard Scheibe, des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff. In über sechzig Sonderausstellungen widmete sich das Museum bislang der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts, aber auch übergreifenden Gebieten wie dem Tanz und Fotografie.

Und im Kolbe-Museum, wo man eigentlich eher Klassisches erwartet, überraschen unerwartete Bezüge, so derzeit die filigranen Objekte des jungen Japaners Shinichi Sawada. Fantastische Mischwesen aus Mensch und Tier schauen einen an, er formte dämonische Masken, Totems. Sie gleichen uralten Kultgestalten und vorzeitlichen Artefakten. Aber sie alle entstammen allein Sawadas überbordender Fantasie. Der Künstler ist Autodidakt und Autist, er lebt in einer betreuten Einrichtung der Sozialfürsorge in der Präfektur Shiga, westlich von Kyoto. Dort schafft er die wundersamsten Dinge. Er weiß nichts von Stilen und akademischer Ästhetik, nichts von Moden und Trends. Der Franzose Jean Dubuffet, der Ende der 1940er-Jahre diese Kunstform jenseits der etablierten Strömungen, Moden und Trends als Art Brut in die Kunstgeschichte einbrachte, hätte garantiert seine helle Freude an dem Mann aus dem Fernen Osten. Dessen grandios-eigentümliche Kunst machte vor sieben Jahren auf der Kunstbiennale Venedig Furore. Nun hat Shinichi Sawada im einstigen Refugium Kolbes seine erste europäische Einzelschau. Klassik trifft Outsider-Art.

Georg Kolbe Museum, Sensburger Allee 25, bis 10. Januar 2021, tgl. 10–18 Uhr