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Christian Höppner
Christian Höppner. Foto: DMR
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Den Blick mehr auf die Perspektiven lenken

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Musikrat erreicht die Erhöhung und Fortschreibung seines Haushaltes – Christian Höppner im Gespräch
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Die Musikwelt ächzt unter den Zumutungen der Corona-Pandemie und gute Nachrichten sind rar gesät. Umso erfreulicher, wenn der Deutsche Musikrat in Bezug auf seinen Haushalt eine Festlegung für die Zukunft bekommt. nmz-Herausgeberin Barbara Haack fragte den Generalsekretär des Musikrates, Christian Höppner, zu den Details.

neue musikzeitung: Um welche Festlegung handelt es sich genau?

Christian Höppner: Dem Deutschen Musikrat ist es im letzten Jahr gelungen, von der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien die dringend notwendige Erhöhung seines Haushaltes zu erreichen. Und die erhöhten Ausgabenansätze werden durch eine Verpflichtungsermächtigung auch für den kommenden Haushalt und bis 2024 fortgeschrieben. Eine stabile Finanzierung ist für alle Akteure im Musikleben, vor allem für diejenigen, die öffentliche Gelder erhalten, ein wichtiges Thema, weil die Brisanz der Finanzierung des Kulturlebens in den kommenden Jahren, insbesondere in den Haushalten 2022 bis 2024, so hoch sein wird wie noch nie. Die öffentlichen Haushalte kommen zum einen durch die relativ schlechte wirtschaftliche Situation und dadurch fehlende Steuereinnahmen und zum anderen auch durch die hohen zusätzlichen coronabedingten Ausgaben in eine dramatische Situation. Vor diesem Hintergrund hilft es nicht, nur lautstark zu trommeln, wie wichtig die Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, sondern vor allem zu versuchen, die Instrumente wie zum Beispiel die Verpflichtungsermächtigung, die es im parlamentarischen Verfahren gibt, zu nutzen, um die Haushalte vor allzu großen Einbrüchen im Kulturbereich zu sichern.  

nmz: Bezieht sich die Etatsteigerung auf den e.V. oder die GmbH?

Höppner: Der Deutsche Musikrat ist der Dachverband des Musiklebens mit zwei Standorten. Diese Steigerung sichert Finanzierungsnotwendigkeiten in den beiden Teilhaushalten ab.

nmz: Sprechen wir bei dieser Festschreibung vom Musikrat oder auch von anderen Zuwendungsempfängern, die von der BKM Geld bekommen? 

Höppner: Es gibt mehrere Zuwendungsempfänger, denen das gelungen ist. Der Deutsche Musikrat wirbt seit einem knappen Jahr bei seinen Mitgliedern und insbesondere bei den Landesmusikräten dafür, die Selbstverpflichtung der Länderparlamente in Bezug auf die Festlegung der Kulturausgaben einzufordern. Die Situation ist so dramatisch, dass alles, was nicht gesetzlich abgesichert ist, entweder komplett gestrichen oder stark gekürzt werden wird. Das wird ein Hauen und Stechen geben, wie wir es noch nicht gekannt haben. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Landesmusikräte einstimmig einer Beschlussempfehlung des Deutschen Musikrats vom Juni gefolgt sind, nach der die Länderparlamente aufgefordert werden, eine Selbstverpflichtung für den Kulturbereich einzugehen.

nmz: Wie viel Bestand hat diese Verpflichtungsermächtigung angesichts der Tatsache, dass wir in diesem Jahr eine neue Bundesregierung bekommen?

Höppner: Die Verpflichtungsermächtigung gilt für mehrere Haushaltsjahre: im Superwahljahr 2021 mit sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl eine wichtige Botschaft. Gerade jetzt sollten wir die kulturpolitische Diskussion viel stärker auf die Perspektiven richten. Wie können wir ein von Vielfalt geprägtes Kulturleben als eine wesentliche Verständigungsbasis unseres Zusammenlebens auch in den kommenden Jahren erhalten und ausbauen? Die Beseitigung der sozialen Schieflage für die meisten selbstständigen Kreativschaffenden, die es auch schon vor der Corona-Pandemie gab, gehört ebenso dazu wie das Miteinander öffentlich geförderter Kultureinrichtungen und freier Ensembles.

nmz: Sie haben über den Bund und die Länder gesprochen. Der größte Teil der Kulturfinanzierung findet auf kommunaler Ebene statt. Gibt es dort auch ein solches Instrument, und wie groß ist die Chance, dass es eingesetzt wird?  

Höppner: Das ist unsere Forderung. Die Verpflichtungsermächtigung ist nicht nur ein technisches Instrument, sondern auch eine politische Aufgabe. Natürlich: Die Kommunen leisten den größten Anteil. Sie müssen sich in ihren Forderungen gegenüber den Ländern viel stärker aufstellen. Der Druck von unten muss wachsen. Hier sind der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Deutsche Landkreistag gefordert. Andererseits müssen die Länder – Stichwort Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Kommunen – gegenüber dem Bund klarmachen, wo sie noch mehr Bedarf haben, um kulturelle Infrastruktur zu sichern. Allerdings hat der Bund in meiner Wahrnehmung gerade in dieser Corona-Pandemie schon sehr gut und umfänglich gehandelt, wenn auch noch nicht für alle Bereiche der Musikwirtschaft ausreichend. Es gibt immer noch weiße Flecken in der Linderung der Folgen der Corona-Pandemie. Aber es gibt umfängliche und differenzierte Programme seitens der BKM und auch die Erweiterung des Sozialschutzpaketes. Die Programme der BKM sind fast alle überzeichnet, dies macht den großen Bedarf an Hilfen für den Kulturbereich deutlich. Der Deutsche Musikrat unterstützt vollumfänglich die Forderung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters um die Aufstockung der Mittel für „Neustart Kultur“ um 1,5 Milliarden Euro. Leider kann man mit Blick auf die Länder nicht überall mit Freude davon reden, was dort passiert oder eben nicht passiert. Das ist sehr unterschiedlich.

Föderalismus als Pfund

nmz: Der Föderalismus wird gerade im Rahmen der Corona-Krise teilweise skeptisch bewertet, weil jedes Land etwas anderes macht, obwohl regelmäßig Absprachen zwischen den Ländern stattfinden. Würden Sie sagen, dass der Föderalismus in einer solchen Krise auch für die Kultur hinderlich ist?

Höppner: Nein. Föderalismus ist anstrengend, aber durch nichts zu ersetzen. Es gibt im Übrigen in der Verfassung für den Föderalismus ein so genanntes Ewigkeitsrecht, das nicht verhandelbar ist. Laut unserem Grundgesetz kann der Föderalismus nicht abgeschafft werden. Gerade im digitalen Zeitalter und angesichts der globalisierten Märkte ist das ein Pfund, mit dem wir wuchern können, ein Pfund, das nicht viele Länder in der Welt haben: eine so dichte kulturelle Vielfalt, die historisch bedingt, aber auch politisch manifestiert ist. Deshalb sollten wir mit diesem kostbaren Gut dieser kulturellen wie strukturellen Vielfalt sorgsamer umgehen und es wirkungsvoller verteidigen. Zum Beispiel würde ich mir wünschen, dass das Einstimmigkeitsprinzip in der Kultusministerkonferenz und der Kulturministerkonferenz aufgegeben wird, so dass mit einer Zweidrittelmehrheit verbindliche Vereinbarungen getroffen werden können.

nmz: Der Musikrat hat 4 Millionen Euro aus dem Programm „Neustart Kultur“ zugeteilt bekommen, um sie an den Musikfachhandel, der ja in dieser Zeit stark leidet, weiterzugeben. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verwaltet auch ein solches Finanzpaket im Rahmen von „Neustart Kultur“, das auf der einen Seite an den Buchhandel, auf der anderen Seite an die Buchverlage verteilt wird. Wo bleiben bei dem Paket, das der Musikrat verwaltet, die Musikverlage, denen es ebenfalls im Moment richtig schlecht geht, weil es keine Aufführungen gibt?

Höppner: Für Musik- und Theaterverlage gibt es ein Förderprogramm in Höhe von fünf Millionen Euro, das vom Bundesverwaltungsamt abgewickelt wird. Angesichts der zu erwartenden gigantischen Einnahmeausfälle in den kommenden Jahren, müssen weitere existenzsichernde Gelder aus den Coronahilfen kommen. Das ist eine kulturelle wie wirtschaftliche Aufgabe, bei der auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier gefordert ist. An der dramatischen Lage der Musikverlage wird einmal mehr die lange Wertschöpfungskette in der Musikwirtschaft deutlich. Keine Aufführungen bedeuteten keine Investitionen in Noten und Instrumente, keine Einnahmen aus Kompositionsaufträgen, Aufführungen, Verwertungsrechten und den Gewerken, die vor und hinter der Bühne an diesem Gesamtkunstwerk LiveMusik beteiligt sind . Die Musikverlage sind Teil unserer kulturellen DNA, die mit ihrer Arbeit neben den wirtschaftlichen Aspekten einen erheblichen Beitrag zu der Kulturellen Vielfalt in unserem Land beitragen.

Wahlkampf

nmz: Nicht nur in der Bundesrepublik beginnt der Wahlkampf; auch im Deutschen Musikrat wird in diesem Jahr ein neues Präsidium gewählt. Erste Frage dazu: Vom Landesmusikrat Sachsen-Anhalt erreichen uns Beschwerden über die Meinungsfindung. Es gibt Unmut darüber, dass speziell in Bezug auf die Diskussion über die Erhöhung der Rundfunkgebühren Verlautbarungen von der Konferenz der Landesmusikräte veröffentlicht wurden, ohne dass die Konferenz dazu befragt wurde. Wie sehen Sie das?

Höppner: Die gute Zusammenarbeit zwischen Deutschem Musikrat und den Landesmusikräten ist seit vielen Jahren durch die föderale Rollenaufteilung in der musikpolitischen Arbeit dokumentiert. Gemeinsame Forderungen an die Politik gehören ebenso dazu, wie die Aktion #MehrMusikInDerSchule. Die durch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt zu Fall gebrachte Gebührenerhöhung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch Nichtbehandlung gehört zu den Themen bundesweiter Relevanz. Selbstverständlich können sich DMR wie die Konferenz der Landesmusikräte durch ihre Vorsitzende dazu öffentlich äußern. Bei länderspezifischen Themen hingegen äußert sich der DMR nur in Abstimmung mit den jeweiligen Landesmusikräten – eine seit Jahren bewährte Praxis. Abgesehen von der Verfahrensfrage war die kritische Position zu dieser Entscheidung der Landesregierung in den gemeinsamen Konferenzen wie im Rundfunkarbeitskreis der KdLMR eindeutig. Die verweigerte Abstimmung der Landesregierung zur Gebührenerhöhung ist der Preis für den Erhalt der Koalition – ein Unding, durch diese parteipolitischen Machtfragen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Programm- und Kulturauftrag weiter zu schwächen. Schließlich hatte auch Sachsen-Anhalt dem derzeitigen Medienänderungsstaatsvertrages, der eine mögliche Erhöhung der Rundfunkabgabe an die Empfehlung der KEF knüpft, zugestimmt. Wer das Prinzip „Pacta sunt servanda“ verlässt, gefährdet das Vertrauen in unsere demokratische Verfasstheit. Die notwendige Debatte über die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als konstitutiver Bestandteil unserer Medienlandschaft mit einem zu schärfenden Kulturauftrag hätte seinen Platz in Anpassungen beim Medienstaatsvertrag.

nmz: Zurück zur Wahl im Musikrat. Wie sehen Sie die Zukunft des Musikrats schwerpunktmäßig? Was muss sich vielleicht ändern, vor allem auch in den Strukturen?

Höppner: Mit dem einstimmigen Beschluss des 5. Berliner Appells der Mitgliederversammlung 2019 hat sich der DMR zum ersten Mal in seiner Geschichte zu seiner zivilgesellschaftlichen Mitverantwortung für die Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens bekannt. Musikpolitik ist eben auch Gesellschaftspolitik. Dazu gehören das Engagement für bessere Rahmenbedingungen des Musiklebens und die beispielhafte Impulsfunktion der Projekte des DMR in der Förderung junger Menschen und der Bereicherung des Musiklebens ebenso wie gesellschaftspolitische Themen. Vor diesem gewandelten Selbstverständnis hat das Engagement für ein von Kultureller Vielfalt geprägtes Musikleben auf der Basis der gleichnamigen UNESCO-Konvention höchste Priorität. Eine starke Motivation für das Engagement im Deutschen Musikrat, ob im Ehren- oder Hauptamt, ob in Berlin oder Bonn, ist die Erfahrung, dass die Strukturen den Inhalten folgen und nicht umgekehrt. Die Beschlüsse der Mitgliederversammlungen mit den Berliner Appellen, des Präsidiums mit den vorbereitenden Beschluss-empfehlungen der Strategiekommission, der Bundesfachausschüsse und Projektbeiräte bilden auf dem Fundament der Satzung ein kontinuierliches Ausbalancieren zwischen Kontinuität und Veränderung. Der Deutsche Musikrat ist mit seinen Beschlüssen zu den Themenkreisen Geschlechtergerechtigkeit und Jugendbeteiligung auf einem guten Weg, was die dem Präsidium nachgeordneten Gremien anbetrifft. Die Wahlen zum Präsidium liegen in der alleinigen Verantwortung der Mitglieder. Hier stellt sich alle vier Jahre erneut die Frage, inwieweit das Präsidium des weltweit größten nationalen Dachverbandes des Musiklebens auch Spiegel der Gesellschaft sein sollte.

Strukturveränderungen

nmz: Noch einmal zu den Strukturen: Gibt es Überlegungen zu wirkungsvolleren Strukturen im Musikrat?  

Höppner: Die Frage, wie wir die Mitglieder der Mitglieder erreichen, ist eine leider ungelöste Dauerbaustelle. Bei allem guten Willen aller Beteiligten schaffen wir es bis heute nur punktuell, die föderalen Membranen bis auf die kommunale Ebene zu durchdringen. Dabei wäre es gerade auf der kommunalen Ebene wichtig, dort wo die Kultur vor Ort stattfindet, die musikpolitischen Handlungs- und Berufungsgrundlagen zu nutzen. Neu ist der Bundesfachausschuss Zukunftswerkstatt, dessen Mitglieder maximal 27 Jahre alt sind. Weiterhin richten wir mit dem „Musikforum“ eine digitale Kommunikationsplattform ein, um Expertenrat zu genreübergreifenden Themen zu erhalten und in einer für alle zugänglichen offenen Form der Beteiligung zu Schwerpunktthemen mehr Menschen zu erreichen. 

nmz: Für all dies und für die ständig erforderliche Innovation bräuchte es ein wenig frisches Blut im Präsidium, das es vermutlich auch geben wird. Es kursieren mindestens zwei Briefe an den derzeitigen Präsidenten des Deutschen Musikrats (siehe Seite 1). Der eine spricht dem Präsidenten das Vertrauen aus und die Erwartung, dass er wieder kandidiert. Der andere spricht die Erwartung aus, dass er nicht wieder kandidiert. Das klingt ein wenig so, als würde die Wahl des Präsidenten schon einmal hinter den Kulissen abgehandelt. Wie demokratisch ist der Musikrat in seiner Struktur – und wie demokratisch ist dieses Wahlverfahren?

Höppner: Der Musikrat ist urdemokratisch. Man muss nur in die Satzung gucken, wie es abläuft. Die Kandidatur für ein Präsidiumsamt steht allen Persönlichkeiten des Musiklebens offen, soweit sie einen Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland haben. Sie erfolgt auf Vorschlag eines Mitglieds des Musikrates, ist aber nicht an eine Mitgliedschaft des Kandidaten oder der Kandidatin im Deutschen Musikrat gebunden. Zu den Briefen will ich mich nicht äußern. Sie geben zwei verschiedene Positionen wider. Das ist das gute Recht eines jeden, der am Musikratsleben aktiv teilnimmt, sich zu den derzeit oder zukünftig handelnden Personen zu äußern.  ¢

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