| | | FORUM FÜR SCHULEN MIT SPRACHLICHER UND INTERKULTURELLER VIELFALT | | | | | | | | | | Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Ausgabe vertiefen wir das Thema des letzten Newsletters und widmen uns noch einmal dem Thema Fachunterricht und Mehrsprachigkeit. Frau Prof. Dr. Susanne Prediger hat uns dankenswerter Weise dafür zwei Publikationen zur Verfügung gestellt. Viel Freude beim Lesen und einen schönen Sommer wünscht Ihnen das Redaktionsteam. | | | | | | | | | Der nächste Newsletter erscheint im Oktober 2024. Wenn Sie am Newsletter interessiert sind, melden über den Link am Ende dieses Newsletters an. Haben Sie Informationen, Materialien oder Beispiele aus dem Schulalltag zur Mehrsprachigkeit und Interkulturalität, senden Sie diese bis zum 15.09.2024 an Mehrsprachigkeit@mk.niedersachsen.de Ihr Redaktionsteam: Christiane Arndt (SpBZ Aurich), Alexandra von Plüskow-Kaminski (SpBZ Lüneburg), Dr. Gabriela Fellmann (MK Niedersachsen), Kirsten Dollenberg (MK Niedersachsen) | | | | | | | | | | Prof. Dr. Susanne Prediger | | | Prof. Dr. Susanne Prediger ist eine deutsche Mathematikerin, Fachdidaktikerin der Mathematik und Hochschullehrerin. Sie ist seit 2006 Professorin an der Technischen Universität Dortmund. Seit 2020 ist sie Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. Sie ist eine international ausgewiesene Expertin für den Umgang mit Heterogenität im Fachunterricht und leitet zusammen mit Christoph Selter von der Technischen Universität Dortmund sowie Jürg Kramer von der Humboldt-Universität zu Berlin das Deutsche Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik (DZLM) am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN). Dieses ist mit der Entwicklung des QuaMath-Programms betraut. | | | | | | | | | | Frau Prof. Dr. Susanne Prediger hat uns eine Publikation zur Verfügung gestellt, die Ansätze und Hintergründe hinsichtlich der Mehrsprachigkeit als Ressource im Fachunterricht darstellt. Ihre Ansätze beschreiben die Nutzung der mehrsprachigen Ressourcen von Lernenden für das Fachlernen im Unterricht. Dabei haben die weiteren Familiensprachen nicht nur kommunikative, sondern auch kognitive Funktion, wenn sie durch Sprachenvernetzung auch andere Sichtweisen erschließen. In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen die Anregungen von Frau Prof. Prediger vor, die sich auch in Forschungs- und Praxisprojekten bewährt haben. Sprachliche Disparitäten in den Fachleistungen haben in den letzten zehn Jahren vielfältige Unterrichtsentwicklungen in deutschen Schulen angestoßen, um Sprachbildung als Querschnittsaufgabe aller Fächer zu etablieren. Dazu wurden fach- und sprachintegrierte Unterrichtskonzepte entwickelt, um die bildungssprachlichen Kompetenzen aller (ein- und mehrsprachigen) Lernenden zu stärken und das fachliche Lernen zu intensivieren (Beese et al. 2014, Prediger 2020). Empirische Studien zeigen, dass diese Konzepte das Fachlernen der ein- und mehrsprachigen Lernenden tatsächlich stärken können und daher vielversprechend sind (Prediger et al. 2022). Dagegen ist die Nutzung der Familiensprachen im Fachunterricht noch nicht in allen Schulen etabliert. Argumentiert wird mit der Sorge, der Einbezug mehrerer Sprachen könne das Deutschlernen bremsen. Viele Studien aus Sprachdidaktik und Mathematikdidaktik haben jedoch empirisch nachgewiesen, dass die Nutzung der Familiensprachen im Fachunterricht nicht das Deutschlernen behindert, insbesondere nicht, wenn im zweiten Schritt auch deutschsprachige Reformulierungen eingefordert werden. Das Fachlernen kann der Einbezug der Familiensprachen sogar für einige Lernende fördern, weil es für einige den informellen Zugang zur Mathematik und die aktive Beteiligung erleichtern kann (Schüler-Meyer et al. 2019). Auch die Sorge vieler Lehrkräfte, die Kontrolle über Abschweifungen zu verlieren, ist unbegründet. In einer Studie bezogen sich durchschnittlich 25 % der Beiträge in Kleingruppengesprächen auf Außerunterrichtliches, diese Quote erhöht sich nicht, wenn Lernende ihre Familiensprachen nutzen (Duarte 2019). Da also die möglichen Einwände ausgeräumt werden können, folgen immer mehr Schulen der Forderung des Europarates (Beacco et al. 2015), alle sprachlichen Ressourcen mehrsprachiger Lernender einzubeziehen und auch andere Familiensprachen für das fachliche Lernen zu mobilisieren. Dieses ist in vielen kanadischen, südafrikanischen oder kalifornischen Schulen seit langem üblich (Barwell et al. 2016), und wird langsam auch in Deutschland etabliert (Prediger & Redder 2024). Der Einbezug mehrsprachiger Ressourcen drückt nicht nur pädagogische Wertschätzung vielfältiger Lebenswelten aus, sondern kann auch im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht vier didaktische Funktionen haben, die im Folgenden mit Textteilen und Beispielen aus Kuzu, Uribe & Prediger (2020) vorgestellt werden. Sie stammen zwar aus dem Mathematikunterricht, lassen sich jedoch auch auf andere Fächer übertragen. 1. Familiensprachen kommunikativ nutzen für die jeweiligen Lernenden Am einfachsten können die Familiensprachen im Unterricht einbezogen werden, wenn Lehrkraft und Lernende dieselben Sprachen sprechen (z.B. in englisch-spanischsprachigen Communities in Kalifornien). Deutsche Klassen haben jedoch viele verschiedene Familiensprachen, die keine Lehrkraft alle lernen kann. Gleichwohl können die Lernenden die kommunikative Funktion der Familiensprachen untereinander nutzen. Empirische Studien haben immer wieder gezeigt, dass das Erlauben der Familiensprachen in Gruppenarbeitsphasen gerade bei Lernenden mit begrenzter Kompetenz in der Unterrichtssprache dazu führen kann, dass sie sich stärker einbringen (Planas 2014). Beispiel 1: Frau Schmidt und die sprachhomogenen Kleingruppenarbeiten Frau Schmidt hat neben Deutsch sechs verschiedene weitere Familiensprachen in ihrer Klasse (Türkisch, Polnisch, Russisch, Serbisch, Zulu und Arabisch); fünf dieser Sprachen werden von mehreren Lernenden gesprochen. Sie setzt für Gruppenarbeiten stets möglichst familiensprach-homogene Gruppen zusammen, diese Gruppen diskutieren dann gerne in einem Sprachenmix, Deutsch und andere Familiensprache. Sie werden dennoch verpflichtet, die Ergebnisposter auf Deutsch zu schreiben, da Deutsch die Zielsprache des Unterrichts bleibt. Die einzige Schülerin, die Zulu spricht, nutzt Zulu als Denksprache und kommuniziert dann auch auf Deutsch, dazu fühlt sie sich durch die sprachliche Buntheit der Kleingruppenphase ermutigt. Die beiden russischen Jungen finden die Nutzung von Russisch „doof“, sie werden dann auch nicht gezwungen. 2. Familiensprachen kommunikativ nutzen für andere Lernende Die kommunikative Funktion von Familiensprachen kann auch für die Sprachvermittlung bei Neuzugewanderten hilfreich sein, wie das Beispiel 2 zeigt. Beispiel 2: Zeki, Tahir und die arabischen Zwischengespräche Zeki und Tahir (10. Klasse) sind vor einem Jahr aus Syrien zugewandert und haben seitdem bereits elementares Deutsch gelernt. Im Mathematikunterricht diskutieren sie untereinander die Aufgaben dennoch gerne erst in Arabisch, bevor Zeki eine passende Skizze zeichnet und Tahir eine algebraische Lösung aufschreibt, die sie in ihrem noch begrenzten Deutsch dann kommentieren. Tahir rät oft die lateinischen Begriffe für mathematisches Fachvokabular und liegt mit ihrer Eindeutschung nah dran („multipieren“, „equivalend“ usw.). Obwohl die Schule auf dem Schulhof eine strikte „Nur-Deutsch“-Regel verfolgt, um sprachliche Ausgrenzungen aus sozialen Gründen zu vermeiden, lässt Frau Heine im Unterricht die arabischsprachigen Zwischengespräche gerne zu, weil sie merkt, dass gerade der sprachlich schwächere Zeki dabei Sicherheit gewinnt für spätere deutsche Äußerungen und dadurch beide mathematisch meist gut folgen können. Bei Schwierigkeiten dolmetscht Xara in Kurdisch, das Zeki auch gut beherrscht. 3. Familiensprachen kognitiv nutzen für die jeweiligen Lernenden Gerade für die in Deutschland aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen ist die kommunikative Funktion von Sprache nicht der relevanteste Aspekt, denn sie könnten auch rein auf Deutsch kommunizieren. Relevanter ist die kognitive Funktion von Sprache als Denkwerkzeug: Wer niemals Mathematik in der anderen Familiensprache betrieben hat, hat eine geringere Wahrscheinlichkeit, mathematisches Denken in Alltagskontexten zu aktivieren, in denen diese Sprache gesprochen wird. Das Thematisieren anderssprachlicher Alltagskontexte (z. B. Bayram als religiöses Fest oder typische Mahlzeiten der Herkunftsländer im Unterricht) kann dazu dienen, anderssprachlich kodierte Vorerfahrungen für das Mathematiklernen zu aktivieren und die Nutzung mathematischen Wissens in diesen Kontexten anzuregen (Prediger & Redder 2024). Normal ist dabei auch die Sprachenmischung: Beispiel 3 aus einer zweisprachigen Förderung zeigt, wie Meryem mitten im Schreibprozess von der deutschen in die türkische Sprache wechselt. Auf Türkisch setzt sie wichtige Aspekte und Vorerfahrungen hinzu: Sie stellt sich ein Servierblech vor und präzisiert, dass Cans Teil weniger wird, weil der ganze Streifen in mehr Stücke aufgeteilt wird. | | | | | | | | | Für neu zugewanderte Lernende ist der kognitive Nutzen der Familiensprache ebenfalls von hoher Bedeutung, hier jedoch in einer anderen Ausprägung: Lernende, die den Mathematikunterricht hauptsächlich im Herkunftsland besuchten, können das mathematische Denken sowohl im Alltags- als auch im schulischen Kontext aktivieren. Wenn sie über die bildungs- und fachsprachlichen Register der Familiensprache verfügen, können sie diese für die Konsolidierung des Wissens nutzen. Dieses wird danach auch auf Deutsch thematisiert und als Bereicherung aller Unterrichtsteilnehmenden herangezogen. An einigen Stellen bieten die anderen Sprachen auch leicht andere Bedeutungsnuancen für mathematische Konzepte als das Deutsche, wie Beispiel 4 zeigt. Beispiel 4: Brüche in asiatischen Sprachen In der deutschen Sprache (und in vielen anderen westlichen Sprachen) wird der Bruch 3/5 ausgesprochen als „Drei Fünftel“, es wird also erst mitgeteilt, wie groß der Teil ist und dann das Ganze adressiert. Die Denkreihenfolge im Teilungsprozess muss allerdings andersherum sein: Das Ganze wird erst in fünf Stücke geteilt, anschließend wird der relevante Teil aus drei Stücken daraus betrachtet. Dieser natürlichen Denkreihenfolge wiederum entspricht die Sprechweise für Brüche im Türkischen (und vielen asiatischen Sprachen wie Chinesisch, Koreanisch usw.): 3/5 werden ausgesprochen als „Beş-te üç“, wörtlich „fünf, darin 3“. Genannt wird also zuerst das Ganze und dann der Teil. Zudem wird auch die Relation des Teils im Ganzen anders nuanciert gedacht: Der Teil wird im Ganzen verortet. Die türkische Sprechweise ist also als Denkwerkzeug für Brüche der deutschen überlegen und sollte für das Lernen fruchtbar gemacht werden. Die durch beide Konzeptualisierungen entstehende Multiperspektivität ist eine wichtige kognitive Ressource im Fachunterricht und dient der Konsolidierung/Festigung von Vorstellungen (Prediger, Kuzu, Schüler-Meyer & Wagner 2019). 4. Familiensprachen kognitiv nutzen auch für andere Lernende Die in Beispiel 4 aufgezeigten sprachlichen Unterschiede kann man für ein facettenreicheres Verständnis fachlicher Konzepte nutzen, sogar für Lernende, die die Sprache gar nicht sprechen, wie Beispiel 5 zeigt. Beispiel 5: Sprechweisen für Brüche vergleichen Frau Atasoy bespricht Unterschiede zwischen deutscher und türkischer Sprechweise für Brüche (aus Beispiel 4) mit der ganzen Klasse, weil sie das türkischsprachige Denkwerkzeug auch für andere Lernende fruchtbar machen möchte. Sie fragt zunächst ihre zweisprachig türkisch-deutschen Kinder, „Wie spricht man im Türkischen die Brüche aus, und wie würdet ihr das wörtlich übersetzen?“ Da es vier von sechs Kindern nicht wissen, da sie noch nie über Brüche auf Türkisch gesprochen haben, gibt sie es ihnen als Hausaufgabe, dies herauszufinden. In der nächsten Stunde berichten sie stolz „Beş-te üç, also fünf, darin drei. Komisch, gell, einfach andersrum!“ Julius (einsprachig deutsch) hebt den Finger, „Ah cool! Find ich viel besser gedacht, ich muss ja erst das Ganze teilen und kann dann sagen, wie viel Stücke ich nehme.“ Frau Atasoy berichtet der Klasse, dass ganz Asien den Bruch vom Ganzen zum Teil ausspricht und dass einige chinesische Mathematikdidaktiker vermuten, dass die chinesischen Kinder deswegen besser Bruchrechnung lernen. Einige wollen sich das lieber so herum zu merken, was der Bruch bedeutet. Ebru setzt hinzu, „Aber Zähler verstehe ich besser in Deutsch, der zählt die Fünftel“. Am Ende der Stunde hält Frau Atasoy die türkische Sprechweise im Sprachspeicher fest, auf dem alle wichtige Satzbausteine gesammelt werden. Seitdem fordert Frau Atasoy alle Kinder immer wieder auf, in anderen Sprachen interessante andere Denkweisen zu finden. (Erfahrungen aus dem Projekt MuM-Multi I) Dass die verschiedenen Sprachen interessante andere Denkweisen befördern können, zeigen auch weitere Beispiele im Beispiel 6. Die Sprachen unterstützen also manchmal unterschiedliche Denkweisen, um mit mehreren Perspektiven auf das gleiche fachliche Konzept zu blicken (Prediger et al. 2019). Beispiel 6: Beispiele für abweichende Konzeptualisierungen anderer Sprachen Zahlsystem: Im Französischen werden Zahlen in verschiedenen Stellenwertsystemen gedacht und verbalisiert. Darüber lohnt es, beim Bündeln nachzudenken: Welche Bündelung steckt in quatrevingt-dix-sept, also 97 = vier mal zwanzig plus 10 plus 7? Welche in der Tatsache, dass erst ab 17 mit dix-sept strukturiert wird, aber 16 mit seize ein eigenes Wort hat? Brüche: Asiatische Sprachen sprechen im Bruch erst das Ganze, dann den Teil an, viele westliche Sprachen umgekehrt (s.o.). Vierecke: Im Norwegischen spricht man vom „Firkant“ (Vierkant) statt Viereck – ist es eigentlich IMMER egal, ob man Ecken oder Kanten zählt? Prozente: Im Türkischen werden Prozente wie Brüche vom Ganzen aus gedacht und verbalisiert und im Gegensatz zum abstrakt lateinischen „pro Cent“ bietet sich die türkische Denkweise an, das Ganze zu fokussieren. Variable: Das Englische unterscheidet explizit zwischen unknown (Variable als Unbekannte) und variable (Variable als Veränderliche). Die Worte helfen, beide Grundvorstellungen nicht zu vermischen. Logik: Das Russische nimmt doppelte Verneinungen als Verstärkung des Nein, nicht als Aufhebung im formal-logischen Sinne. Unterschiedliche sprachentypische Konzeptualisierungen können die Lernenden reflektieren, wenn sie zur Übersetzung und zum Sprachenvergleich aufgefordert werden. Wenn die Lernenden die fachlich relevanten Sprachmittel aus ihren anderen Familiensprachen selbst noch nicht kennen, können weitere Medien hinzugezogen werden, wie in Beispiel 7: Beispiel 7: Rechercheaufträge zur Sprachenvernetzung Frau Schmidt fordert ihre siebensprachige Klasse immer wieder auf, die erarbeitete Mathematik auch in anderen Sprachen auszudrücken. Die neuzugewanderten Arabischsprechenden schreiben dazu stets die arabischen Satzbausteine mit auf und können sich dadurch die deutschen Satzbausteine besser merken. Zwei türkischsprechende Schülerinnen möchten in Istanbul studieren, sie arbeiten systematisch auch an ihrem Fachvokabular und suchen stets die Worte im Internet-Lexikon mit raus. Die serbisch sprechenden Jugendlichen konnte sie motivieren, mit den Eltern die Hausaufgaben stets auf Serbisch zu machen. Bei ihnen baut sich das zweisprachige Vokabular ganz natürlich auf. Einige Jugendliche ohne weitere Familiensprachen sprechen ab und zu Englisch, um auch mehrsprachig arbeiten zu können. Frau Schmidt gibt den Lernenden auch immer wieder Rechercheaufträge als Hausaufgabe, z.B. „Jeder bringt zur nächsten Sitzung anderssprachige Einkaufsprospekte oder Werbungen aus dem Internet mit. Wir wollen dann suchen, wie dort proportionale Zusammenhänge ausgedrückt sind. „Frau Schmidts stete Verknüpfung durch mehrsprachigkeitsaktivierende Hausaufgaben ist nicht nur motivierend, sondern sorgt auch dafür, die Familiensprachen als Denkwerkzeug gezielt im mehrsprachigen Austausch mit Eltern, Freunden und Nachbarn einzusetzen. Diese können dann zur Sprachenvernetzung im Unterricht herangezogen werden, die kognitiven Nutzen insbesondere dort hat, wo unterschiedliche Bedeutungsnuancen verknüpft werden (Prediger et al. 2019). In einer Interventionsstudie hat sich gezeigt, dass häufige Sprachenvernetzung lernförderlich für das (auf Deutsch abgeprüfte) Konzeptverständnis ist: Je mehr die Lernenden einer zweisprachig deutsch-türkischen Förderung ihre Sprachen gemischt und vernetzt haben, desto mehr haben sie gelernt (Schüler-Meyer et al. 2019). 5. Fazit: Schritte auf dem Weg zum mehrsprachigen Fachunterricht Die Beispiele zeigen, dass die aufgeführten Potentiale der Familiensprachen für die kommunikative und kognitive Funktion von Sprache für das fachliche Lernen gewinnbringend sein können, und dass dies eigentlich nicht spezifisch für Mathematik ist. Wie also kann sich ein Kollegium langsam auf den Weg zum mehrsprachigen Fachunterricht machen? Der Weg beginnt bei der Akzeptanz anderer Sprache: Ohne Weiteres ist es möglich, die Nutzung aller Sprachen in familiensprachen-homogen zusammengesetzten Kleingruppen zu erlauben (vgl. Beispiel 1). Danach bieten die in dem folgenden Kasten 1 abgedruckten Entwicklungsschritte eine sinnvolle Schrittigkeit (abgeleitet aus Forschung- und Entwicklungsansätzen in Prediger & Redder im Druck). Diese Möglichkeiten helfen, die mehrsprachigen Ressourcen in kognitiver und kommunikativer Funktion zu erschließen und so das Voltaire zugeschriebene Zitat für fachliches Lernen zu realisieren: „Kennst du viele Sprachen - hast du viele Schlüssel für ein Schloss.“ Voltaire (1694- 1778), dass wir bereits in einem letzten Newsletter veröffentlicht haben. | | | | | | | | | Literatur zum Aufsatz von Prof. Dr. Prediger: Barwell, R., Clarkson, P., Halai, A., Kazima, M., Moschkovich, J., Planas, N. et al. (Hrsg.). (2016). Mathematics education and language diversity: The 21st ICMI Study. Dordrecht: Springer. Beacco, J.-C., Byram, M., Cavalli, M., Coste, D., Cuenat, M. E., Goullier, F., & Panthier, J. (2015). Guide for the development and implementation of curricula for plurilingual and intercultural education. Strasbourg: Council of Europe. Beese, M., Benholz, C., Chlosta, C., Gürsoy, E., Hinrichs, B., Niederhaus, C., & Oleschko, S. (2014). Sprachbildung in allen Fächern. München: Langenscheidt / Klett. Duarte, J. (2019). Translanguaging in the context of mainstream multilingual education: a sociocultural approach. International Journal of Bilingual Education and Bilingualism, 22(2), 150-164. doi.org/10.1080/13670050.2016.1231774 Kuzu, T., Uribe, A. & Prediger, S. (2020). Mehrsprachige Ressourcen mobilisieren für das Mathematik- und Deutschlernen. In S. Prediger (Hrsg.), Sprachbildender Mathematikunterricht in der Sekundarstufe - ein forschungsbasiertes Praxisbuch. Berlin: Cornelsen. Planas, N. (2014). One speaker, two languages: Learning opportunities in the mathematics classroom. Educational Studies in Mathematics, 87(1), 51-66. Prediger, S. (Hrsg.). (2020). Sprachbildender Mathematikunterricht in der Sekundarstufe - ein forschungsbasiertes Praxisbuch. Berlin: Cornelsen. Prediger, S. (2022). Welche Forschung kann Sprachbildung im Fachunterricht empirisch fundieren? Ein Überblick zu mathematikspezifischen Studien und ihre forschungsstrategische Einordnung. In B. Ahrenholz, S. Jeuk, B. Lütke, J. Paetsch & H. Roll (Hrsg.), Fachunterricht, Sprachbildung und Sprachkompetenzen (S. 19-38). Berlin: De Gruyter. Prediger, S. & Redder, A. (2024). Mehrsprachigkeit im Fachunterricht am Beispiel Mathematik. In I. Gogolin, A. Hansen, S. McMonagle, D. Rauch & P. Leseman (Hrsg.), Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Prediger, S., Kuzu, T., Schüler-Meyer, A., & Wagner, J. (2019). One mind, two languages – separate conceptualisations? A case study of students’ bilingual modes for dealing with language-related conceptualisations of fractions. Research in Mathematics Education, 21(2), 188–207. doi:10.1080/14794802.2019.1602561 Schüler-Meyer, A., Prediger, S., Wagner, J., & Weinert, H. (2019). Bedingungen für zweisprachige Lernangebote – Videobasierte Analysen zu Nutzung und Wirksamkeit einer Förderung zu Brüchen. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 66(3), 161-175. doi:10.2378/peu2019.art09d Wessel, L., Prediger, S. & Kuzu, T. (2017). Brüche verstehen und vergleichen. Sprach- und fachintegriertes Fördermaterial. In Deutsch, Türkisch und Arabisch frei verfügbar unter mathe-sicher-koennen.dzlm.de/100. | | | | | | | | | Aus den Sprachbildungszentren | | | | | | | | | | Mit BiSS-Blended-Learning-Bausteinen sich als Lehrkraft selbst professionalisieren Fortbildungen zur Durchgängigen Sprachbildung werden in Niedersachsen in Form von BISS-Blended-Learning-Formaten angeboten und umfassen Themen der Sprachbildung, wie beispielsweise „Sprache im Alltag und im Fach“, „Sprachsensibler Mathematikunterricht“ oder „Durchgängige Leseförderung“. Blended-Learning-Kurse sind Online-Formate, die sich aus Online-Veranstaltungen und Selbstlernphasen zusammensetzen. "BiSS-Transfer ist eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zum Transfer von Sprachbildung, Lese- und Schreibförderung in Schulen und Kitas. Sie knüpft an die Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) an. Ziel von BiSS-Transfer ist es, wissenschaftlich fundierte Konzepte zur sprachlichen Bildung in der Praxis zu implementieren. 2020 als Nachfolger von BiSS gestartet, zählt die Initiative heute mehr als 2.900 Schulen und Kitas, die sich aktiv beteiligen und in regionalen Verbünden gemeinsam an nachhaltiger Sprachförderung arbeiten." (vgl. https://www.biss-sprachbildung.de/, abgerufen am 10.06.2024) Die Fortbildungen werden über die Kompetenzzentren für Lehrkräftefortbildung in ganz Niedersachsen angeboten. Zudem machen die Sprachbildungszentren im Rahmen von Professionellen Lerngemeinschaften und Beratungen Kurseinheiten zugänglich. Niedersachsenweit werden die Angebote durch zwei BiSS-Tutorinnen koordiniert. Ein Großteil der Koordinierenden und einige der Beratenden aus den Sprachbildungszentren sind bereits zertifizierte BiSS-Multiplikatorinnen bzw. -Multiplikatoren und -Fortbildnerinnen sowie -Fortbildner. Auf dem Bildungsportal Niedersachsen gibt es weitere Informationen und Kontakte: bildungsportal-niedersachsen-bildung-durch-sprache-und-schrift-biss-transfer | | | | | | | | | Aus der Praxis für die Praxis „Der 2. Schuljahrgang der Grundschule Grüner Weg in Emden mit vielfältigem kulturellen Migrationshintergrund bedankte sich am Freitag, den 16.02.2024 beim Rotary Club Emden für eine ausgiebige Bücherspende. Jedes Kind erhielt das Buch "Fiete Hering – Abenteuer im Müllmeer". Die Kinder sangen das Lied "Alle Kinder lernen lesen" in einer kultursensiblen überarbeiteten Form. Außerdem lasen sie Gedichte und Verse in ihrer eigenen Familiensprache, obwohl Kinder in diesem Alter oft keine Lesekompetenzen in ihrer Familiensprache besitzen. Das Buch "Kinderverse in über 50 Sprachen" von Silvia Hüsler machte dies möglich, da die Sprachen ebenfalls in der jeweiligen Aussprache ebenfalls abgedruckt sind. Besonders bewundernswert war dabei, dass die Kinder auch ohne Lesekenntnisse in der jeweiligen Familiensprache die Texte gut betont vortragen konnten. | | | | | | | | | | | | Wie können Lehrkräfte mehrsprachige Elemente in den Unterricht der verschiedenen Fächer einbinden? Die Handreichung "Mehrsprachige Unterrichtselemente" vom Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache von Dr. Stefanie Bredthauer, Magdalena Kaleta und Marco Triulzi gibt Antworten auf die grundlegenden Fragen zum Einsatz von mehrsprachigen Unterrichtselementen: Für welche Schülerinnen und Schüler sind sie geeignet und welche Vorteile und möglicherweise Nachteile bringt der Einsatz mit sich? Was müssen Lehrkräfte bei der Arbeit mit mehrsprachigen Unterrichtselementen beachten? Bredthauer, Stefanie, Kaleta, Magdalena & Triulzi, Marco (2021): Mehrsprachige Unterrichtselemente – eine Handreichung für Lehrkräfte. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Mehrsprachige Unterrichtselemente Mercator-Institut | | | | | | | | | | Durchgängige Sprachbildung im Geschichtsunterricht Wie gelingt Sprachbildung im Geschichtsunterricht? Die folgende Publikation von Matthias Sieberkrob beschäftigt sich mit Fragen der Sprachbildung im Kontext historischen Lernens und ist primär aus einer geschichtsdidaktischen Perspektive geschrieben. Im Rahmen der Forschung zur durchgängigen Sprachbildung sollten allerdings auch die Perspektiven anderer Disziplinen einbezogen werden. In der Publikation werden deshalb die Perspektiven der Sprachdidaktik, der (interkulturellen) Erziehungswissenschaft und der Soziologie einbezogen. Im Kontext Wertschätzung von Mehrsprachigkeit als Bildungsressource ist die Zusammenfassung ab Seite 349 zu empfehlen. Durchgängige Sprachbildung | | | | | | | | Das Projekt BISS bietet im Rahmen seiner BiSS-Kurse mit dem Thema „Sprache im Alltag und im Fach“ eine neue Einheit zur Mehrsprachigkeit an. In der Abbildung ist die Gliederung der ca. 45-minütigen Einheit dargestellt. BISS-Sprachbildung-Blendet-Learning-Kurse Informieren Sie sich über die Kompetenzzentren für Lehrkräftefortbildung zu aktuellen Kurseinheiten. | | | | | | | | | | Das Sprachförderzentrum Wien bietet verschiedene Materialien für einen mehrsprachigen und sprachfördernenden Unterricht an. Lehrkräfte, die an Materialien in Türkisch interessiert sind, sollten auf der folgenden Seite stöbern: sfz-wien material Der Text "Wie werdet ihr denn morgens geweckt?" ist eine schöne Geschichte, die Lehrkräfte zum Vorlesen und zum gemeinsamen Lesen einsetzen können. | | | | | | | | | | Rap gegen Rassismus: Musik verbindet Menschen Das soziale Startup Kanzi hat sich zur Aufgabe gemacht, junge Menschen durch Rapmusik zu empowern und (Sprach-)Grenzen abzubauen. In den kostenpflichtigen Rap-Workshops werden seit 2019 gesellschaftlich brisante Themen wie Rassismus interaktiv und kritisch behandelt. Dabei bietet Rap als beliebte Musikrichtung einen niedrigschwelligen, kreativen und individuellen Zugang zu diesen Themen. Die Workshops werden von lokalen Musikerinnen und Musikern geleitet. Das Projekt gewann den „Oh my Goethe! Preis“ des Goethe-Instituts. https://kanzi.info/ | | | | | | | | | | Mit dem Unternehmen "einzigartige Medien GmbH" hat die Grafikerin Theresa Meixner sich ein Herzensprojekt verwirklicht. Durch ihre mehrsprachig gestalteten Materialien wird es Kindern ermöglicht, Sprache einfacher und schneller zu lernen. Auf der Internetseite "TABULARESI.de" finden Sie neben kostenlosen Downloads verschiedene kostenpflichtige mehrsprachige Poster, Bücher, Sprachenlernkarten und weitere Produkte für den mehrsprachigen Unterricht und zur Förderung der mehrsprachigen familiären Literalität. | | | | | | | | | | | Die mehrsprachige Kinderbuchautorin und Sprachregisseurin für Hörbücher Arzu Gürz Abay veröffentlicht mehrsprachige Kinderbücher, bietet zweisprachige Lesungen für Grundschulen sowie Literacy Workshops (in Person oder online) u.a. mit dem Thema „Die Bedeutung der Akzeptanz von Sprach- und Kulturvielfalt für eine integrative Gesellschaft“ an. Nähere Informationen finden Sie auf der Website: Arzu Gürz Abay | | | | | | | | Im Auftrag des Niedersächsischen Kultusministeriums wurde der Selbstlernkurs „Sprachsensibler Fachunterricht an BBS“ im Moodle-Kursformat entwickelt. Die Materialien sind auf der Online-Plattform Open-ELEC des NLQ im Kursbereich „Berufliche Bildung“ verfügbar. Sie erreichen den Selbstlernkurs über den Direktlink – openelec.moodle-nds.de/course/ | | | | | | | | | | | | Tag der Mehrsprachigkeit am 11.09.2024, 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr, Leibniz Universität Hannover / Leibniz School of Education uniplus Lehrkräftefortbildung, Appelstraße 11a, 30167 Hannover Mehrsprachigkeit ist schon längst in allen Schulformen Gang und Gäbe - oder kennen Sie eine rein einsprachige Klasse? Mit dem Fachtag Mehrsprachigkeit werden sprachlichen Herausforderungen benannt, mit denen Lehrkräfte und schulisches Personal täglich zu tun haben. Es werden aber auch die Chancen und Vorteile herausgearbeitet, die sich aus der Mehrsprachigkeit für alle Beteiligten ergeben. Anmeldungen unter nlc.info/app/edb/event | | | | | | | | | Hinweise zum Abonnement: Sie erhalten diesen Newsletter von der E-Mail Adresse mehrsprachigkeit@mk.niedersachsen.de Wenn Sie diesen Newsletter abonnieren möchten, können Sie sich hier einschreiben. Eine Bestätigung per E-Mail ist aus Datenschutzgründen erforderlich. | | | | | | | | Klicken Sie hier um sich abzumelden. | | Nds. Kultusministerium, Hans-Böckler-Allee 5, 30173 Hannover | powered by kulturkurier | | | | |